Bei einer dreistündigen Nachmittagsschreibwerkstatt sagte eine mir bis zu diesem Termin nicht bekannte Teilnehmerin, ich nenne sie mal Ute: „Ich habe ‚Shades of Grey‘ gelesen und gedacht, sowas kann ich auch schreiben. Dann hab ich mich hingesetzt und wusste aber nicht, wie ich anfangen soll. Deshalb will ich das hier beigebracht bekommen.“

(Die Schreibwerkstatt war darauf konzipiert, das Kölner Stadtmuseum kennenzulernen und dabei ein paar Miniaturen zu schreiben.)

Ute schrieb zwei, drei kleinere Texte, von denen sie, wie die anderen Teilnehmer aufgrund mangelnder Zeit nur einen vorlesen konnte. Danach habe ich nie mehr von ihr gehört. Ich weiß auch Utes richtigen Namen nicht mehr, daher ist mir auch nicht bekannt, ob sie mittlerweile etwas veröffentlicht hat.

Ute hatte es eigentlich schon richtig begonnen: Sie hat gelesen und ihr eigenes Schreiben darüber reflektiert. Bei Autoren sollte dies aber noch tiefer gehen.

Liest man Bücher, ist man zunächst einmal Konsument und nimmt auf, was man auf den Seiten Schwarz auf Weiß vor die Augen bekommt. Beschäftigt man sich als Autor mit Texten, mit Perspektiven, Spannungselementen, Dialogen, Figuren, Beschreibungen, Stilen oder sinnlichem Erleben, fallen einem entsprechende Passagen und Bilder in Texten auf: Ach, da ist der erste Hinweis gelegt – der Dialog deutet auf eine nächste Katastrophe hin – diese Beschreibung umfasst Tast-, Geruchs- und Geschmacksinn und so weiter. Aus diesen kleinen Elementen kann man für sich selber erkennen, ob man das ähnlich schreiben möchte oder ganz anders. Liest man einen Dialog in einem Roman und verliert den Faden während des Lesens – wer spricht und vielleicht auch worüber gesprochen wird – kann man analysieren, woran das liegt. Man ist also zum einen Leser und Konsument, zum anderen aber auch gründlicher Kritiker und Analyst der Texte. Das kann einem die Freude an einem entspannenden Roman auch mal ruinieren. Denn so findet man vieles in Büchern, von dem man denkt, dass der Autor, die Autorin es besser gekonnt hätte. Aber so kann man eben auch lernen, wie man es besser machen kann – und wo man es ähnlich machen würde, weil das so gut gelungen ist, dass man das Buch gar nicht weglegen möchte, weil man so nah dabei ist.

Schreibt man nun an seinen eigenen Texten, kommen Momente, in denen man merkt, dass man gerade einen so langweiligen Dialog schreibt, wie man ihn neulich auch in einem Buch gelesen hat. Oder man bereitet eine spannende Szene vor und weiß, man will sie genauso anlegen, wie Stephen King es in ‚Misery‘ gemacht hat. Oder man übt bewusst, in der Art eines bestimmten Autors, einer bestimmten Autorin zu schreiben. Das bedeutet nicht, dass man plagiiert. Man passt zum Beispiel Geschwindigkeit, Satzlänge, Verwendung von Adjektiven, Anteile von Erzähl- zu Dialogtext dem an, wie es das Vorbild vorgeschrieben hat. Es wird letztlich der eigene Text, denn man verwendet seine eigenen Ideen und seine eigenen Wörter.

Ein Autor, dessen Texte ich korrigiere, liest selber keine Bücher des Genres, in dem er schreibt. Entsprechend ist bei seinen Romanen immer wieder das Gefühl dabei, dass er leicht daneben liegt.

Man kann es mit einem Bäcker vergleichen, der Brote mal von außen gesehen hat, aber nicht weiß, wie sie gemacht werden oder jemals eins probiert hat: Seine Brote mögen wie Brote aussehen, so lange ihm niemand sagt, dass sie nach Pappe oder zu süß schmecken und zu hart sind, oder er endlich mal selber probiert oder es richtig lernt, wird er nie richtige Brote backen können.

Veröffentlicht von Anne Haase

Dozentin in der Erwachsenenbildung, breit gefächert mit Schreibwerkstätten, Kursen zu Akkordgitarre für den Hausgebrauch, Begleiterin von lernenden Analphabeten. Ich mache noch mehr, aber das würde hier den Rahmen sprengen und ist für mein Bloggen nicht von Bedeutung.

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